15.03.2023, 16:51 Uhr | Presseartikel des Tagesspiegel (Von Benjamin Lassiwe)

Schwere Zeiten für alte Sprachen
Immer weniger Schüler lernen Latein

Mit diesen Worten beginnt die Odyssee, das berühmte Werk des griechischen Dichters Homer: „Andra moi, enneppe Musa ...“ Wer in der Schule Altgriechisch hatte, wird sich an die auswendig zu lernenden Verse erinnern: „Erzähle mir, Muse, vom Manne...“ In Brandenburg allerdings dürfte das kaum jemand sein: Denn das Schulfach Altgriechisch wird in der Mark derzeit nur am Evangelischen Gymnasium Potsdam-Hermannswerder unterrichtet.

Anders ist es bei der anderen alten Sprache, dem Lateinischen. In die Welt der Römer können Schüler an 106 Brandenburger Schulen eintauchen. Und immerhin 245 Brandenburger Lehrkräfte haben die nötigen Befähigungen, um den Jugendlichen die Reden von Cicero, die Verse von Ovid und die Geschichtswerke eines Livius oder Tacitus näherzubringen. Das geht aus der Antwort des Potsdamer Bildungsministeriums auf eine Kleine Anfrage der CDU-Landtagsabgeordneten Gordon Hoffmann, Saskia Ludwig und Michael Schierack hervor, die am Montag vom Landtag veröffentlicht wurde.
„Latein ist in Brandenburg ein gut etabliertes Schulfach und eine beliebte Fremdsprache“, sagt Jan Bernhardt. Er ist Vorsitzender des Altphilologenverbands Berlin-Brandenburg, in dem sich die Latein- und Griechischlehrer zusammengeschlossen haben. Allerdings hat das Fach – wie auch Französisch, Spanisch oder Russisch – mit einem Rückgang der Schülerzahlen speziell in der Oberstufe zu kämpfen: Denn dort muss in Brandenburg neben dem Englischen keine zweite Fremdsprache mehr verpflichtend belegt werden.

Die das Fach eigentlich auszeichnende Arbeit mit lateinischen Originaltexten in der Oberstufe findet daher an einigen Schulen nicht mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen statt“, sagt Bernhardt. Aus Sicht des Lehrerverbands sollte etwa die Mindestgröße für die Einrichtung von Kursen an der Oberstufe flexibel gehandhabt werden, um den Fremdsprachenunterricht zu ermöglichen. Und auch das Griechische sollte an Brandenburgs Schulen zurückkehren. „Griechisch könnte als Grundlagenfach eine Mittlerrolle einnehmen, da die modernen Fächer vielfach in der griechischen Antike wurzeln: Dies gilt etwa für die Mathematik, die Musik, die Biologie, die Philosophie, die Physik, die Literaturwissenschaften oder die Rhetorik – hier kann Griechisch fächerverbindend wirken“, sagt Bernhardt. „Dazu bedürfte es aber, wie in Mecklenburg-Vorpommern vor einigen Jahren, einer politischen Initiative.“
 
Grundlage für einige Studienfächer

Das Latinum, das Graecum und das Hebraicum werden jedenfalls immer noch für eine Reihe von Studienfächern benötigt. Wer etwa einen Lehramts- oder Masterstudiengang im Fach Geschichte absolvieren will, muss auch an der Universität Potsdam Lateinkenntnisse nachweisen. „Natürlich ist es bei wenig Schülern an kleinen Gymnasien weitaus schwieriger, ein Angebot für solche Fächer machen zu können“, sagt der bildungspolitische Sprecher der Brandenburger CDU, Gordon Hoffmann. „Trotzdem haben die alten Sprachen auch in Brandenburg ihre Berechtigung, und ich kann mir vorstellen, dass die Digitalisierung noch bessere Chancen bietet, allen Schülern, die sich dafür interessieren, ein entsprechendes Angebot zu machen.“

Noch weiter geht die Potsdamer Landtagsabgeordnete Saskia Ludwig. Sie verweist darauf, dass etwa für ein Theologiestudium neben dem Latinum und dem Graecum auch das Hebraicum, also Kenntnisse in Althebräisch, erforderlich seien. „Erst kürzlich war ich bei einer Veranstaltung im Alten Rathaus in Potsdam, wo die Einweihung der neuen Torarolle im Gedenken des verstorbenen Landesrabbiners Nachum Presman stattfand“, sagte Ludwig. „Es hat einem wieder klar vor Augen geführt, dass Hebräisch die Sprache der Propheten und der Tora, der Psalmen und der Weisheit ist.“ Doch selbst der Religionsunterricht an Brandenburger Schulen werde heute „von Religionswissenschaftlern geleitet, die vom „Biblischen Hebräisch“ keine Ahnung haben.“


Quelle: https://www.tagesspiegel.de/potsdam/brandenburg/schwere-zeiten-fur-alte-sprachen-immer-weniger-schuler-lernen-latein-9502661.html