30.03.2017, 08:43 Uhr | Presseartikel Potsdamer Neuste Nachrichten

Neustart ohne Brechstange
Inklusion in Brandenburg

Die ersten 127 Brandenburger Schulen starten im Herbst offiziell mit der Inklusion. Bildungsminister Günther Baaske setzt auf eine freiwillige Teilnahme der Schulen.

 

Potsdam - Unter seiner Vorgängerin Martina Münch sollte erst alles ganz schnell gehen, bei Bildungsminister Günther Baaske (beide SPD) sah es dann zunächst so aus, als läge das Thema auf Eis. Nun kommt sie aber doch endlich ins Rollen, die Inklusion – also das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne Lernbehinderung beziehungsweise Entwicklungsdefizit. Die ersten Brandenburger Schulen starten diesen Herbst ganz offiziell mit dem Programm „Gemeinsames Lernen in der Schule“ – nach jahrelangen Debatten, Pilotprojekten, Umplanungen.

100 Grundschulen, 24 Oberschulen und drei Gesamtschulen im Land werden somit offiziell zu Inklusionsschulen – wobei sich noch am wenigsten für jene 75 Grundschulen ändert, die bereits in den vergangenen Jahren am Pilotprojekt teilnahmen. Absolutes Neuland betreten hingegen die weiterführenden Schulen, sie waren in der Pilotphase ausgeschlossen. Durch ihre Einbeziehung soll erreicht werden, dass mehr förderbedürftige Schüler einen anerkannten Schulabschluss erreichen und so ihre Chance auf eine Berufsausbildung erhöht wird. Bislang schaffen nur etwa 15 Prozent der Brandenburger Förderschüler einen Abschluss. Theoretisch könnten schon in sechs Jahren alle öffentlichen Grund-, Ober- und Gesamtschulen in Brandenburg Inklusionsschulen sein, rechnet das Land vor. Allerdings gilt das Prinzip der Freiwilligkeit: Jede Schule kann selbst entscheiden, ob sie offiziell „Schule für gemeinsames Lernen“ sein will oder nicht.

 

 Für teilnehmende Schulen gibt es neue Stellen

Überzeugend für viele Schulen dürfte das Konzept aber allein schon angesichts der zusätzlichen Stellen sein. Denn diese werden pauschal nach Schulgröße zugestanden – also unabhängig von der Anzahl förderbedürftiger Kinder. Bislang zahlt das Land allen Schulen – ob Teil des Inklusions-Pilotprojekts oder nicht – pro Kind mit nachgewiesenem Förderbedarf einen bestimmten Betrag, den die Schule für Personal einsetzen kann, diese Stigmatisierung soll durch die Pauschal-Regelung jetzt entfallen. Für die nun teilnehmenden 127 Schulen kommen so 432 zusätzliche Stellen zusammen, für die das Land in diesem Jahr 5,4 Millionen und im kommenden Jahr 17,6 Millionen in die Hand nimmt. Zusätzlich stehen für die gesamte Legislaturperiode 56 Millionen Euro für bauliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Inklusionsarbeit zur Verfügung, von denen Schulen profitieren können.

Eine Inklusion „mit der Brechstange“, wie sie Martina Münch vorgeworfen worden war, will Baaske vermeiden. Nicht nur die Schulen sollen selbst entscheiden können, ob sie zur Inklusionseinrichtung werden, auch den Eltern soll die Wahl gelassen werden, ob sie ihr Kind an einer Regel- oder einer Förderschule unterrichten lassen. Eine Abschaffung aller Förderschulen im Land bis 2019 wie einst ist vom Tisch. Das jetzige Konzept richtet sich weniger an Kinder und Jugendliche mit körperlichen Behinderungen – diese werden vermutlich auch weiterhin Förderschulen mit speziellen, barrierefreien Räumen und extra geschultem Personal besuchen. In die Regelschulen miteinbezogen werden sollen aber Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf. Meist handelt es sich um Probleme beim Lernen, bei der Sprache oder bei der emotionalen und sozialen Entwicklung – zusammengefasst unter dem Begriff LES. In Brandenburg sind davon etwa 11 000 Schüler betroffen.

Lob von den Grünen, Kritik von der CDU

Die Opposition reagierte geteilt auf Baaskes Konzept-Vorstellung. Grüne-Bildungsexpertin Marie Luise von Halem begrüßte es ausdrücklich. „Von einem inklusiven Unterricht profitieren alle Schülerinnen und Schüler. Da ist es gut, dass nun endlich auch Ober- und Gesamtschulen in die Inklusionspläne einbezogen werden“, sagte sie. Sie mahnte allerdings an, das gemeinsame Lernen auch im Schulgesetz zu verankern. Das Individualrecht auf einen „inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Zugang“ zu Schulen fehle hier immer noch.

Weniger überzeugt von Baaskes Vorhaben an sich äußerte sich die CDU. „Mit nur 52 zusätzlichen Schulen nehmen deutlich weniger teil als von SPD und Linke erwartet“, merkte Bildungsexperte Gordon Hoffmann an. Das liege auch daran, dass das Konzept in der Theorie zwar nicht verkehrt klinge, die reale Tauglichkeit jedoch erst noch nachgewiesen werden müsse. Bislang sei es gängige Praxis, dass zusätzliche Lehrerstunden, die eigentlich für die individuelle Förderung gedacht sind, genutzt würden, um Unterrichtsausfall zu verhindern. „So wird aus dem Konzept in der Praxis oft Frustration statt Inklusion“, so Hoffmann. (von Katharina Wiechers)



Quelle: 
www.pnn.de/brandenburg-berlin/1170451/